Warum Schaukeln glücklich und schlau macht

Gepflegt abhängen: Designer entdecken ein Lebensgefühl, das auf Bewegung setzt statt auf Statik. Baumeln, schwingen, wippen – Schaukeln macht Spaß und Freude. Und das nicht nur auf dem Spielplatz.

Der Anblick von Schaukeln löst nicht nur bei Kindern, sondern auch bei vielen Erwachsenen, sofort den Impuls aus: Draufsetzen, abstoßen, losschwingen – und zwar so lange wie möglich. Und deswegen hatten die Designer Oliver-Selim Boualam und Lukas Marstaller im Januar wahrscheinlich sogar Glück, als die Leitung der Kölner Möbelmesse die Benutzung ihrer schwarzen Stahlrohrschaukel aus versicherungstechnischen Gründen verbot. So konnten die beiden jungen Karlsruher den Messebesuchern ihre Entwürfe erklären und mussten sich nicht als Spielplatzwarte betätigen.

Was Schaukeln für Möbeldesigner interessant macht, ist vor allem die Tatsache, dass sie nicht nur Spielgerät, sondern Sitzgelegenheiten ohne Beine sind. Sie lösen die Verwurzelung und schaffen durch ihr Schweben im Raum Dynamik. Die polnische Designerin Iwona Kosicka hat mit ihrem Hängesitz „Swing“ so etwas wie die Weiterentwicklung und Reduktion des wohl berühmtesten Hängesesselklassikers entworfen: Eero Aarnios „Bubble Chair“ aus den 1960er-Jahren, eine Halbkugel aus Plexiglas, die an einer Kette von der Decke hängt. „Swing“ ist im Grunde nur ein Holzreifen, der im Bereich der Sitzfläche verbreitert wurde, für die Gestalterin stellt er eine Kombination „aus kindlicher Freude und Eleganz“ dar. Zwei Exemplare hängen in der schwedischen Red-Bull-Zentrale in Stockholm.

Schaukeln bewegt

Schaukeln macht glücklich, es sorgt für einen Zustand, der zwischen Schwerelosigkeit und Erdanziehung oszilliert, seine Bewegung ist ein Vor und Zurück, Auf und Ab. Zwischen sanftem Wiegen und tollkühnen Schwüngen. Karin Schmidt-Ruhland, Professorin für Spiel- und Lerndesign an der Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein, weiß, warum Schaukeln nicht nur für Kinder wichtig ist: „Es macht Spaß, trainiert das Körpergefühl, die Körperhaltung, die Orientierung im Raum. Der Körper ist in Bewegung, die Welt ist in Bewegung. Es schafft Zutrauen und Mut.“ Mut zum immer höher, immer doller – und für Fortgeschrittene den Mut, am höchsten Punkt loszulassen und sich ins Leere katapultieren zu lassen.

Inzwischen ist auch bekannt, dass das Hin- und Herschwingen Kinder nicht nur glücklich, sondern auch schlau macht, weil Schaukelbewegungen das Gleichgewichtsorgan anregen und damit die motorische Entwicklung fördern. Und Motorik und geistige Entwicklung sind untrennbar miteinander verknüpft.

In Köln schlichen die Messebesucher um das minimalistische Objekt mit dem Namen „As high as best“ herum und fragten sich, wie komfortabel das u-förmig gebogene Stahlrohr, das gleichzeitig als Sitz und als Griff dient, wohl sein mag. Probesitzen und -schwingen durften sie ja nicht. „Es ist gemütlicher, als man auf den ersten Blick denkt“, sagt Oliver-Selim Boualam. Gemeinsam mit seinem Partner Lukas Marstaller bewegt er sich unter dem Namen Butternutten AG im Bereich zwischen Kunst und Design.

Dynamisch sitzen

„As high as best“ ist Teil eines Projekts, bei dem die beiden einen Kiosk an der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 5 am Karlsruher Rheinhafen bespielt, ihn umgebaut und dafür dieses Möbel entworfen haben. 16 Schaukeln waren rund um das achteckige Gebäude am Dach angebracht. „Wir hatten eine Verweildauer von 15 Minuten angepeilt, weil an diesem Ort alles in Bewegung ist, aber die Leute haben dann durchaus ein Stunde auf den Schaukeln zugebracht.“ Die Schaukel adaptiert die Gewohnheit des improvisierten Sitzens im öffentlichen Raum in eine konkrete und dynamische Form.

Hübsche Vorstellung, dass an Haltestellen und in U-Bahnen in Zukunft Schaukeln hängen könnten. Die Stahlrohr-Seilkombination von Boualam und Marstaller ist so konzipiert, dass sie problemlos in großen Stückzahlen hergestellt werden kann. Bisher gibt es leider nur eine auf 20 Exemplare limitierte Edition. Ein Hersteller wird noch gesucht.

Eine Schaukel ist ein simples Ding: „Eigentlich besteht eine Schaukel nur aus einem Brett und einem Seil. Für mehr Stabilität bohrt man jeweils zwei Löcher in die Seiten. Mehr braucht man nicht“, sagt Design-Professorin Karin Schmidt-Ruhland.

Sogar Victoria Beckham schaukelt gern mal:

An genau dieses Prinzip hat sich Design-Tausendsassa Philippe Starck bei seinem Beitrag für die neue Kartell-Kids-Kollektion gehalten, die im April auf der Mailänder Möbelmesse vorgestellt wurde: eine Sitzfläche – transparent, stromlinienförmig, Kartell-typisch aus Kunststoff – und zwei Seile. „Airway“ ist ihr Name; Starcks Idee ist, dem Benutzer „einen unsichtbaren Sitz zu bieten, um in seiner eigenen Fluglinie den Himmel zu erreichen.“ Für ihn ist „eine Schaukel das Konzentrat aller wunderbaren Dinge dieser Welt: die Leichtigkeit der Schwerkraft, die Zuverlässigkeit der Zentrifugalkraft, die Lebendigkeit der Balance, die vierte Dimension der Gefahr, die Höhe der Aussicht.“

Diese fast metaphysische Begeisterung wird zumindest von Victoria Beckham nicht geteilt. Die Frau, die selbst auf der Schaukel keine Miene verzieht, war dem britischen Boulevard-Blatt „Daily Mail“ 2009 sogar eine Meldung wert: Bei einem Shooting für ihre Kollektion, bei dem Models vor einer georgianischen Häuserzeile auf Schaukeln posierten, wagte sie einen kleinen Testschwung. Ihr Gesichtsausdruck blieb dabei, nun ja, Victoria-Beckham-like versteinert.

In der Mode- und Werbefotografie sind Schaukeln ein beliebtes Requisit: Bruce Webers schwarz-weißes Kampagnenbild für den Calvin-Klein-Duft „Obsession“ aus dem Jahr 1989 zeigt ein nacktes, schaukelndes Paar und ist eine Ikone dieses Genres. Kürzlich präsentierte Hermès seine Schuhkollektion Herbst/Winter 2015 in einem Spot mit dem Titel „The Swing“ – passend wäre auch „Die Frau ohne Oberleib“ – an den Beinen und Füßen eines schaukelnden Models.

Für Mutige – so schaukelt es sich auf der höchsten Schaukel der Welt:

Dass Schaukeln nicht nur aufregend sein kann, sondern auch entspannend, diesen Aspekt nutzen Hersteller von Outdoormöbeln für ihre Kollektionen. Gepflegt abhängen ist da die Devise, denn in Hängesesseln und -sofas lässt es sich vortrefflich, ja, baumeln. Körper, Geist oder Seele, egal was. Auf einem Hängesitz schwebt man zwischen Himmel und Erde. Der französische Designer Daniel Pouzet, hat für Dedon mit „Swingrest“ eine ganze Kollektion verschiedener Hängemöbel vom Einsitzer bis zur Lounge-Insel entworfen. Manche erinnern an die Sitze von Kettenkarussells, manche an Vogelnester. In Pouzets Fantasie sind sie als ganze Kolonien in Bäumen befestigt. „Es ist eine andere Annäherung an das Thema Outdoor-Wohnzimmer. Weil sie dynamisch sind, stelle ich mir auch Menschen vor, die in Bewegung sind, lachende Kinder, eine lebendige Szenerie. Ich will keine statische Lounge.“

Anders als Philippe Starck, der sagt, er benutze keine Schaukeln, weil er sich schließlich bereits in den Wolken befinde, schaukelt Design-Professorin Schmidt-Ruhland sehr gern: „Sich zurücklehnen und in die Baumwipfel zu schauen, das ist das Schönste.“

Dass Schaukeln auch die Ultima Ratio der Stunde ist, wenn gar nichts mehr geht, beweist ein Blick auf das Sortiment von Dawanda, dem Online-Warenhaus für Selbstgemachtes. Dort gibt es unterschiedlichste Poster, Postkarten, Stempel, T-Shirts, Buttons, Tassen, Ohrstecker mit folgendem Satz: „Mir reicht’s. Ich geh schaukeln.“

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Article Source: https://www.welt.de